Gaucho Geschichten

Mein letztes Lebenszeichen kam Ende Mai 2019 aus Buenos Aires. Ich lebte zunächst 2 Wochen in einem sehr einfachen Hostel. Es gab eigentlich nur einen Tourist,- Antonio. Mit ihm erkundete ich die Stadt auf den Spuren von Diego Maradonna. Wir pilgerten zu seinem Geburtshaus und zu dem Stadion wo er als Kind spielte, bevor er dann zu La Boca- und später dann zu Neapel wechselte, wo er heute noch vergöttert wird. Antonio erzählte mir dass Maradonna in Neapel heute noch so einen hohen Stellenwert hat, da er nie ein Spiel verlor, dass die Napolianer bei einer Weltmeisterschaft lieber für Argentinien als für Italien sind.

Zusammen mit Antonio machte Ich noch ein paar Ausflüge und erkundeten ein paar Gärten und Parks, crashten die Comicon und mit ihm bestellte ich mir meinen ersten Choripan (eine argentinische Bratwurst im Brot) beim Imbiss, der später für mich zum absoluten Standard wurde. Antonio machte sich nach einer Woche auf nach Patagonien, was im Nachhinein eine sehr dumme Idee war, da es dort tiefster Winter war und mit allem was mit der Silbe „-chaos“ endete, dazu gehörte....

Die nächsten Tage verbrachte ich hauptsächlich im und um das Hostel. Ich zog mir eine kleine Erkältung ein und vegetierte ein bisschen vor mich hin. Im Hostel wohnten Didem, eine Türkin die eine verrückte Geschichte hinter sich hatte und versuchte mit der Gestaltung von T-Shirts aus ihrer finanziellen Misere zu kommen. Es gab ein venezuelanisches Pärchen die aus ihrem Land flohen und noch 2 Familien die samt ihren Kindern dort wohnten. Bald waren wir alle wie eine große Familie.

…. und dann kam Julian.
Mit Julian bin Ich schon unzählige male zusammen auf der Bühne der Jamsessions im Hemperium und im Jazzkeller Sauschdall gestanden oder wir meisterten zusammen mit der Songlotterie das ein oder andere Konzert oder Musikvideo. Julian verlies vor 2 Jahren Ulm und studiert heute die Musik des Tangos und argentinische Folklore in Buenos Aires. Er spielt (für mich gesehen,- das exotische Instrument) Bandoneon.

Julian lehrte mich über die Hintergründe des Instruments: Das Bandoneon ist lustigerweise ein deutsches Instrument, dass Ich aber noch nie zuvor in meinem Leben gesehen habe und erinnert entfernt an eine Ziehharmonika. Es machte seinen Weg nach Argentinien im Gepäck von deutschen Auswanderern, die damals zusammen mit anderen Musikern anderer Nationen in den Hafenkaschämmen Porteñas (so werden im allgemeinen auch die Einwohner Buenos Aires vom Rest Argentiniens genannt) zu spielen wussten. Hinzu gesellten sich die Blues-Poeten (Tangisten), sowie leicht bekleidete und erschwingliche Mädels und die ganze Sache nahm Dynamik auf und eine Promenadenmischung namens Tango wart geboren! Das Bandoneon spielt bei der ganzen Geschichte eine wichtige Rolle: Nur mit dem Klang des Bandoneon klingt Tango auch nach Tango. Ich denke mir, da man das Bandoneon ausschließlich im sitzen spielt, ist es möglich den vergleichsweise langen Faltenbalk an seinen Oberschenkel an zu schlagen, der dann für einen typischen Effekt sorgt! So erlebte das Instrument eine Renaissance in Argentinien, wo es in Deutschland schon längst aus der Mode war,- tot geglaubte leben eben länger! Die Argentinier bestellten bei deutschen Instrumentenbauern hohe Stückzahlen an Bandoneons mit Modifizierungen wie zum Beispiel zusätzlichen Tönen.

Julian nahm mich einen Tag mit ins Konservatorium und zu seinen Proben. Was für ein Tag! Den ganzen Tag jagte ein Instrumenten spezifischer Unterricht die nächste Probe und umgekehrt. Der Tag endete in einem sympathisch morbiden Proberaum bei Rockmusik und Bier. Die „Lo Zapateros“ (Die Schumacher) probten und Ich spielte mit. Sie sind für mich die beste Band Argentiniens! Insgesamt war ich bei 3 Proben anwesend und galt schon als vollwertiges Bandmitglied. Der Bassist der Zapateros war Juanpi, bei dem ich nun die nächsten Tage wohnen konnte. Ich wollte nur übers Wochenende bleiben und dann losfahren. Aus ein paar Tagen wurden wegen schlecht Wetter zwei Wochen. Ich fühlte mich ein wenig in Buenos Aires gestrandet, aber es gab mir gleichzeitig auch die Chance tiefer in Buenos Aires ein zu tauchen!

Mit Julian ging Ich auf eine Jamsession und spielte bis 2 Uhr nachts. Danach verlagerte sich die Session in das Hinterzimmer und ging weiter. Die Location war geil, tagsüber Café und Buchladen, Nachts Spielunke. Die Musiker waren Spitze und Ich hatte sehr viel Spaß! Durch Julian fing Ich langsam an seine Faszination für diese Stadt zu verstehen und musste an Ulm denken. Während es in Ulm sehr viele Kulturschaffende gibt, die sich für ein kulturelles Angebot in verschiedenen Lokalitäten sorgen, so bekommt leider die Masse der Menschen es gar nicht mit. Sei es aus Gründen der Desinteresse oder an der allgemeinen Kulturverdrossenheit, der Lage also der Dezentralisierung der Lokalität und der Unbequemlichkeit diesen Ort zu erreichen oder des fehlenden Informationsgehaltes über die Existenz des Angebotes. Sprich in Ulm hat man teilweise an einem Abend ein Angebot von 10 Konzerten und nirgendwo ist richtig was los. In Buenos Aires ist´s umgekehrt. Es gibt praktisch keine kleinen Konzert Lokalisation! Dafür organisieren sich die Leute selbst und veranstalten im Hinterhof. Man lädt über die Sozialen Netzwerke Freunde zu Wohnzimmerkonzerten. Dabei werden die Ausschankbedingungen und die Brandschutzauflagen schön umgangen und es ist brechend voll! Natürlich gibt es auch Clubs und Discos wo Ragaton und Kumba sich die Klinke in die Hand drücken,- dass ist aber leider nichts für meinen Geschmack. Ebenfalls gibt es in feinen Restaurants auch meistens ein musikalisches Angebot und teilweise wird in kleinen Cafés auch Tango gespielt und getanzt. Ebenfalls gibt es sehr schöne Bars mit teils selbst gebrauten Bier und dank einem gutem Wechselkurs ist das ganze dann auch schön finanzierbar. Die alternative Szene jedoch, versteckt sich aber größtenteils im Untergrund ohne die man als Außenstehender praktisch gar nichts mit bekommt.

Ich erkundete die für mich noch unentdeckten touristische Plätze wie das Stadtviertel „La Boca“. Ein runter gekommenes Hafenviertel, in dem seine Bewohner ihre Häuser aus sämtlichen Überresten wie Wellbleche, Holz- und Steinresten bauten und mit bunten Bootslack bemalten. Als Ich so gemütlich durch dieses Stadtviertel mit meinem Fahrrad cruiste, wurde mir klar dass dies der beste Ort ist um Nachts überfallen zu werden,- also trat ich in die Pedale und machte mich davon. Auf meinen täglichen Streifzügen schaute ich mir auch Friedhöfe an. Unter anderem den Friedhof im Stadtteil Ricoleta, wo auch Eva Peron und sonstige Prominenz zur ewigen Ruhe liegt. Diese Friedhöfe gaben mir den Eindruck, dass ich mich in einer Stadt die von Toten bewohnt wird befinde. Die Gruften sind wahre Meisterwerke und sehr pompös! Was der stille Beobachter nicht sieht, ist dass diese Gruften teils auf mehreren Stockwerken bis zu 10 Meter in die Tiefe gehen, damit auch bis in die alle Ewigkeit die Schwiegermutter immer in der Nähe bleibt. Wie viel ein paar Quadratmeter auf diesem Friedhof kosten, möchte ich gar nicht wissen. Ich dachte mir, dass man dafür auch eine stattliche Wohnung in der Innenstadt dafür bekommt.

Sonst habe Ich mal wieder richtig deutsch gekocht!
Mich traf fast der Schlag, als Ich in einen argentinischen Supermarkt ging und Produkte wie: „Weizenbier“ oder „Leberwurst“ sah. Es lag daher mal nahe dass es auch Sauerkraut (chukrut) gibt! Daher habe ich eines Abends mal richtig schön Schupfnudeln, Sauerkraut mit Blut und Leberwurst gekocht!!! Natürlich habe Ich auch die lokalen Köstlichkeiten kennen gelernt. Mit Julian hab ich meine ersten Enpanadas und meine erste argentinische Pizza gegessen, bei der der Käse unendlich lange Fäden zieht.

Abschließend möchte Ich über meine Eindrücke in Buenos Aires schreiben:
nach Australien und Neuseeland, war mein erster Eindruck gegenüber Buenos Aires der, einer sehr dreckige Stadt in der definitiv nicht alles optimal funktioniert. Es gibt den Beruf des Gassi-Gehers! Dabei geht einer mit ca. 5-10 Hunden gleichzeitig Gassi. Fahrradwege sind sehr spärlich gesät und der Verkehr ist gefährlich, da niemand schaut und Rücksicht nimmt. In manchen Teilen der Stadt kann es Nachts schon gefährlich sein und man könnte ausgeraubt werden oder es steht ein ausgebranntes Auto rum. Manche Sachen dauern einfach unvorhersehbar lange (wie z.b. meine Sim Karte aktivieren) und auf dem Rückweg fährt man in eine Demonstration rein und ist plötzlich mitten drin in den Nachrichten von morgen.

Anderseits finde Ich dass die Stadt einen gewissen Charme hat. Gefühlt sieht man eigentlich nie einen Argentinier das Haus verlassen ohne eine Thermoskanne, einen Mate, Yerbas und einer Bombija. Sie oder Er wird sich irgendwo treffen und mit Freunden einen Mate schlürfen,- Ich finde das ein sehr schönes Ritual! Auch wenn die Parks und Spielplätze teils wirklich runter gekommen sind und man auf Hundescheisse achten muss. So sieht man doch überall Kinder spielen oder Menschen sitzen, sich unterhalten oder ein Grillfest (Asado) machen. Generell habe Ich eigentlich keinen Argentinier kennen gelernt der längere Zeit zuhause und vor dem Fernseher verbringt, es sei denn für ein Fußballspiel. Selbst wenn man jemand kennen lernt, dann geht es immer darum wer man ist und was man macht, anstatt sich durch seine Arbeit zu identifizieren. Z.b, man stellt sich als Musiker vor obwohl man eigentlich im Büro arbeitet. Oder man ist Fahrradfahrer obwohl man eigentlich auf dem Bau arbeitet. Man lebt nicht für die Arbeit, sondern lebt das Leben. Ich denke, dass es eine Sache in Südamerika im allgemeinen ist. Hingegen sind wir Deutschen eher zurückhaltend und denken darüber nach was andere über einen Denken.

Eines Tages kam dann auch der Tag an dem ich wirklich Buenos Aires verlies.
Ich kündigte glaube Ich mindestens 2 mal einen letzten Abend mit Bier schwäbischen Köstlichkeiten an. Irgendwann kratzte Ich dann die Kurve und radelte los.